Donnerstag, 27. Juni 2024

Nicht witzig …

km 2.026 – Meziadin Junction bis Boya Lake, BC


Unser Auto riecht mittlerweile streng nach Lagerfeuer und Mückenspray. Auch morgens lüften bringt nicht viel, da der gemeine Kanadier bereits 6 Uhr erneut Scheitel in die Grillschale wirft.




Wir fuhren also weiter auf dem Highway 37. Wir haben erst 155 km von 725 km auf dieser Strecke hinter uns und werden wohl noch 1,5 Tage in der tiefsten Einsamkeit hier verbringen. Es gibt wirklich nichts außer Wald, Seen und schneebedeckte Berge. Bloß gut, ist unser Auto mit einem Notfallsystem ausgestattet. Handyempfang gleich null.




Nach 45 km steuerten wir um eine Kurve. Auf der Karte sahen wir, dass gleich eine Brücke kommen müsste. Plötzlich stand da ein Baustellenfahrzeug. Hinaus kam ein rundlicher großer Mann der First Nations mit seiner Kelle zu stoppen. Wie üblich unterhält man sich hier oder grüßt man sich zumindest. Wir machten die Scheibe runter und er kam zu uns.




Er fragte uns, ob wir uns nicht bei Drive BC einen aktuellen Stand der Straße eingeholt hätten. Das ist eine Homepage der Strecken von British Columbia. Wie auch? Wir hatten ja kein Internet. Er redete weiter, nuschelte so, dass man ihn kaum verstand. „The bridge is washed away!“ Nein, das ist nicht sein ernst! Die Brücke ist weggespült. Als er fragte wo wir hin wollen, antwortete er, dass wir zurück über Prince George fahren müssten. Prince George? Das sind 1.400 km Umweg, um auf den Alaska Highway zu fahren !!!


Er meinte nur, dass wir da wohl einen Tag länger einplanen müssten. Echt jetzt? Irgendwann hatte er erbarmen mit meinem dumm aussehenden Gesicht, was voller Panik war und sagte: „I’m kidding. You can drive!“ Scherzkeks! „Nicht witzig“, sagte ich nur und er lachte. Wir dann auch. Was will man sonst hier draußen so alleine. Er kann ja nicht mal am Handy sitzen. Dann soll er seinen Spaß haben.



Wir fuhren also erleichtert weiter. Aber erschracken auch auf den nächsten Kilometern. Selbst der einsame Norden von British Columbia nimmt langsam Züge von Norwegen an. Einsame Rastplätze sind nicht mehr einsam, wenn große Kühlschränke jegliche Flächen für sich beanspruchen. Nicht tagsüber, sondern nachts. Nun ist das Freistehen auch hier angekommen. Ich hoffe es wird nicht schlimmer in den nächsten Jahren. Denn dadurch verliert, zumindest diese Strecke, ihr wildes Flair.



Es wurde kälter. Wir waren eingerahmt von über 2000 Meter hohen Bergen. Der Schnee lag noch fast bis ins Tal. Weiter nördlich lag, mitten im Nirgendwo, ein Flughafen mit einer großen Schotterpiste als Landebahn. Ringsherum nichts. Anzuhalten war die Hölle. 3 Sekunden außerhalb des Autos und du warst umzingelt von 10.000 Knots (Minimücken). Wir legten also einfach das große Moskitosnetz über uns und den Tisch und aßen Frühstück. Endlich mal Sandwich mit Käse und Wurst bekommen in Abpackungen für Normalsterbliche.




Nochmal was zu den Relationen. Immer wieder wurde auf die nächstgrößere Ortschaft, Watson Lake in 350 km, verwiesen. In Deutschland müsste man dafür ein Schild an die Ostsee stellen und auf eine kleine Gemeinde in Ostsachsen verweisen, denn  Watson Lake hat gerade einmal 800 Einwohner. Ich denke das zeigt gut, was kanadische Weite sinnbildlich bedeutet. Wir sind nun auch offiziell im Norden angekommen. Heute gab es das erste Schild, worauf vor kreuzenden Cariboos, nordamerikanische Rentiere, gewarnt wurde.


Wir kamen nach Dease Lake. Eigentlich nur eine der größten Siedlungen des Highways. Sicherlich nicht mehr als 150 Einwohner. Der zentrale Platz war die Tankstelle. Hier spielte sich das Leben ab. Jeder der den Highway befährt, muss da halten und tanken gehen. Hier gibt es auch die einzige Einkaufsmöglichkeit weit und breit. Deshalb gab es wirklich alles: von Waffen und Munition, über Angelausrüstung, Äpfel oder Geschirr. Wir haben in dem kleinen Ort sogar Satelliten Wifi gefunden.





Es schüttete plötzlich wie aus Kannen und machte auch die letzte Hoffnung auf eine Bärensichtung zunichte. Nach fast 500 km gab es nur einen einzigen Bären. Da war die Ausbeute 2019 wesentlich größer. Egal, man kann nicht alles haben. Dafür erlebten wir heute den kanadischen Traum, das Nonplusultra, das Postkartenmotiv, die Wunschvorstellung eines jeden, der noch nicht in diesem Teil der Erde war. Es ist ein Ort, der 5 km vom einsamen Highway abzweigt in ein noch einsameres Gebiet: der Boya Lake Provincial Park. Genau hier sind wir vor 5 Jahren mit dem Kanu gekentert. Heute verbringen wir die Nacht mit einer Aussicht, die einen zu Tränen rühren kann.