km 3156 – Haines, AK bis irgendwo im Nirgendwo, YK
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Weißkopfseeadler |
Die ausgiebige Dusche heute Morgen wurde aller höchste Zeit. Schließlich waren es schon 5 Tage, die wir nur mit unseren Faltwaschbecken verbrachten. Wir starteten in den Tag, um nochmal die Umgebung von Haines anzusehen. Eine wirkliche coole Kleinstadt. Naja, eher ein Dorf wahrscheinlich. Was sie zu etwas Besonderem macht, ist die fantastische Lage in einer Bucht.
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Chilkoot River |
Genau diese fuhren wir entlang zum letzten Ende, um am Chilkoot Lake anzukommen. Über uns kreisten Weißkopfseeadler mit einer extremen Spannweite. Genau hier am Chilkoot River sind im Spätsommer Bären unterwegs, um an der Fischleiter ordentlich zu zugreifen. Letztes Mal waren wir im August hier und hatten Bären früh um ca. 1 Stunde verpasst. Jetzt, ohne Fisch, gibt es eben auch keine Bären.
Wir fuhren aus Haines hinaus. Die einzige Straße führt in das 240 km entfernte Örtchen Haines Junction. Wie der Name schon sagt, ist es eher eine Kreuzung mit Tankstelle, drumherum das weite Nichts. Bis dahin galt es aber erstmal überhaupt rauszukommen. Wir durchfuhren große Warnschilder mit „Do not pass!“ (nicht passieren). Was jetzt? Dies ist doch die einzige Straße, auf der anderen Seite das Meer.
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Zeit war es. |
Es folgten weitere Schilder mit gleicher Aufschrift. Um uns sah man immer wieder wie Hänge abgestürzt waren und die Straßen zu beiden Seiten unter Wasser standen. Uns wurde komisch zu Mute. Um die nächste Kurve konnte wahrscheinlich jeder unseren erleichterten Aufschrei hören. Es stand eine Dame mit Stopp Schild vor uns und wir warteten auf ein Pilotcar. „Do not pass“ heißt nämlich „nicht überholen“ und ist uns irgendwie abhandengekommen.
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Haines Pass |
Wir waren froh weiterfahren zu können und die nächste Hürde war die Grenze nach Kanada, wo ein unfreundlicher und wortkarger Kerl alles daransetzte, dass wir seine Fragen nicht verstanden. Unangenehm. Sehr unangenehm. Irgendwann ließ er uns fahren und wir landeten auf dem einsamen Hochplateau des Haines Summit auf über 1.000 Metern auf dem man wunderbar tolle Bilder von der Straße und den Bergen machen kann.
Kurz vor dem Kathleen Lake im Kluane Nationalparks sahen wir unseren ersten Bären, der genügsam an Blumen klapperte. Am See machten wir Pause. Es war warm und wir müde. Hinten reingelegt und schon kann man schlafen. Die Kanadier indessen nutzen das Wochenende und ihre staatlichen Recreation Areas zum SUP und Paddelboot fahren, Schwimmen oder Grillen. Es war ja auch ein tolles Wetter heute mit 26 Grad Celsius.
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Million Dollar Falls |
Wir fuhren weiter, holten in der Village Bakery in Haines Junction köstliche Brownies. Im angrenzenden Liquor Store (lizenzierter Laden, wo man alkoholische Getränke kaufen kann) befanden sich gleich im Eingangsbereich kostenlose Testkits, um Fentanyl nachzuweisen. Ok, das Problem mit der Betäubungsmittelabhängigkeit beginnt also bereits 300 km vor der Grenze zu den USA. Und genau dorthin bogen erstmals in unserem Leben in diesen Abschnitt des Alaska Highways ein. Ab hier ist alles neu, alles aufregend. Wie aufregend oder eben beängstigend konnten wir sehr bald spüren.
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Kathleen Lake |
Zuerst sahen wir den nächsten Schwarzbären des Tages und konnten ihn in Ruhe vom Straßenrand beobachten. Am Kluane Lake stand plötzlich eine gewaltige Windhose als Minitornado neben uns und saugte den gesamten Sand der Umgebung auf, um schaurig in die Höhe zu steigen.
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Kluane Nationalpark |
Der Kluane Nationalpark zeigte sich wahrscheinlich heute von seiner schönsten Seite. Die Sonne schien, der Blick ging weit und an den Straßenrändern wuchs ein Meer aus leuchtenden Blumen in gelb und lila. Es sah fantastisch aus, zumindest wenn man dies im Kino sehen würde. Wir waren allerdings live hier und in Gedanken, dass ringsum uns im Umkreis von 300 km keine Ortschaft, keine medizinische Versorgung oder sonst was ist. Der Blick schweift nur über Bäume und Berge bis zum Horizont und wir mittendrin. Wenigstens war der EAI heute nicht so niedrig. Es waren immerhin 20 in einer Stunde.
Die Ehrfurcht vor dieser gewaltigen Natur wurde wenige Kilometer später nochmals unterstrichen. Wir kamen auf einer kleinen Anhöhe entlanggefahren und ich sah schon von Weitem ein überaus helles Fell am Straßenrand. Das Auffälligste war jedoch die kleine bucklige Erhöhung hinter dem Nacken. Ein Grizzly, nur getrennt durch eine Windschutzscheibe mitten im Nirgendwo. Wie gruselig und wunderschön zugleich kann die Natur bitte sein?! Wir fühlten uns wie auf einer Nussschale im riesigen Ozean und um uns schwimmen die Haie.
Die nächsten Kilometer waren gespickt von Bodenwellen und Schlaglöchern, sodass man öfter hart abbremsen musste. Zudem waren viele Einzelabschnitte nur noch eine Schotterpiste. Langsam wurde es trüb und es roch verbrannt. Hier, in dem Abschnitt des Highways, tobt seit einiger Zeit ein Waldbrand. Aber er ist weit genug weg. Während wir so darüber nachdenken, wo wir heute unsere Nacht, angesichts der befremdlichen Stille, verbringen werden, kroch vor uns ein Biber die Böschung hoch. Seit wann sind Biber so riesig? Davon abgesehen, habe ich wahrscheinlich noch nie einen gesehen. Gewaltig.
Ca. 80 km vor der letzten Ortschaft Kanadas fanden wir einen staatlichen Campingplatz im Wald. Auch, wenn der Highway einen vor Einsamkeit manchmal die Luft abschnürt, findet man hier wieder seine Ruhefrequenz zurück. Das Herz schlägt langsamer. Es gibt Menschen. Menschen mit Bärenspray. Menschen, die sich unterhalten. Menschen, die einem nicht das Gefühl geben auf dem Ozean unter Haien zu sein. Dass wir das mal sagen würden, dass wir uns darüber freuen würden.