Wir nutzen die Regenlücke, um loszumachen und den Rest von Tainan anzuschauen. Der alte Stadtkern ist geschützt durch Verteidigungstore mit großen Kanonen. Es ist die älteste Stadt Taiwans. Hier gibt es auch allerhand Kirchen, was ziemlich auffällig ist. Viele ehrwürdige, alte Gebäude reihen sich neben Tempeln. Komisch ist nur, dass hier überall Weihnachtssterne stehen. Diese Kombination ist uns völlig fremd.
Wir beobachteten viele religiöse Zeremonien an diesem Vormittag. Irgendwie werden hier halbmondförmige Steine geworfen und so wie sie aufkommen, verraten sie dir die Antwort auf deine wichtige Frage, die du gestellt hast. Das Religiöseste, was wir heute gemacht haben werden, ist durch einen Drachen-Po gekrochen zu sein.
Wir kamen aus dem Confucius-Tempel und wollten endlich nur die Straße überqueren. Auf einmal hörten wir es laut knallen. Wir drehten uns um und irgendwie ging alles viel zu schnell. Ein weißes Auto, ein schwarzer Roller. Aber wo ist die Person, die den Roller gefahren hat? Sie lag unter dem Auto. Wir standen irgendwie wie angewurzelt da, bis uns auffiel: „Moment, renn!“ Ohne zu schauen, ob ein Auto kommt, weil der Unfall mitten auf der Kreuzung war, rannten wir und versuchten erste Hilfe zu leisten. Das war echt schwierig, da sich das Mädchen direkt unter dem Auto befand und wirklich wahnsinniges Glück hatte, nicht überrollt worden zu sein.
Trotzdem lag da jemand, der erstmal nicht mehr reagierte. Die Fahrerin des Autos, die übrigens die Vorfahrt missachtete und der Roller auf der regennassen Fahrbahn durch die Vollbremsung entlang de Straße rutschte, stand völlig neben sich. Es kamen noch ein paar Männer und aus irgendeinem Grund fand man es sinnvoll den Motor anzumachen und die Autoposition zu ändern. Voller Panik hämmerten wir gegen die Beifahrertür, machten den Schaden an der Karosserie wahrscheinlich noch größer, und brüllten, dass dieser Irrsinn aufhören muss. Hätte das nichts gebracht, wäre sie voll über die Beine und kleinen Hände gerollt.
Mit vereinter, taiwanesischer Kraft und deutscher Logik haben wir es geschafft, das Auto seitlich hochzuheben und die Verletzte, darunter vorzuziehen. Entweder stand sie völlig unter Schock oder das erste Gebot des Landes ist es, wenn du angefahren wirst, mach Bilder. Wir warten noch auf die Polizei, die keinen Zeugenbericht von uns brauchte, und waren froh, dass die Geschichte so glimpflich ausgegangen ist,
Der Regen hörte und hörte auch heute nicht auf. Dabei soll irgendwie Dezember der trockenste Monat in Taiwan sein. Naja, kannst du nix machen. Es ging schon. Aber irgendwann war es dann wieder so nervig, nachdem es nur Bindfäden regnete. Das Gute ist tatsächlich, dass es warm draußen ist und dass der Regen nicht so eine Eiseskälte verursacht.
Wir erwischten gerade noch so den Schnellzug und verschwanden im Trockenen. In nur 28 Minuten landeten wir 50 Kilometer später in Kaohsiung. An uns zogen Reisfelder vorbei und Entenfarmen. Kurz bestand die Hoffnung, dass wir im Sonnenschein ankommen werden. Was aber völlig utopisch war. Es war ja nicht weit weg. Man mag es kaum glauben, aber das Klima hat sich trotzdem verändert. Der Regen wurde weniger, aber es wurde auch wesentlich schwüler.
Es war schon lange Mittag und wir mussten endlich was essen. So ein Schnellzugbahnhof bietet sich an, weil man hier wirklich alles bekommt. Wir nahmen in einem kleinen Restaurant Platz und man sah sofort, dass wir irgendwie überfordert waren. Hier kam ein netter Herr an, gab uns eine Karte mit Bildern, chinesischen Schriftzeichen und dem gestern benannten Zettelblock. jetzt begann die Herausforderung. Du schaust dir die Bilder an und denkst: lecker, möchte ich essen. Jetzt musst du aber noch irgendwie die Schriftzeichen dem Zettel zuordnen, wo du ankreuzen musst, was du essen möchtest. Also bildest du Analogien wie die Schriftzeichen aussehen könnten: ein Sarg, ein Vogel, ein Tempel usw. Dann versuchst du das auf diesen Zettel zu übertragen, um deine Bestellung abzugeben. Wir haben es tatsächlich geschafft. Wir bekamen das, was wir wollten.
Wir machten uns auf den Weg zum Lotus Pond, ein großer See im nördlichen Teil von Kaohsiung. Bekannt ist er für seine vielen Pagoden und Tempel. Wir holten uns ein Fahrrad und fuhren quietschvergnügt um den See. Als erstes sahen wir einen Eisvogel. Leider war meine Kamera viel zu langsam. Er sah fantastisch aus. Macht nichts. Vögel gab es hier zumindest genügend. Hin und wieder hielten wir an, parkten unsere Räder, verschlossen sie, damit sie niemand anderes ausleihen konnten und besuchten die Pagoden, die auf Brücken im See standen.
Okay, die Fahrer sind einmal ausgeliehen. Bus? Hm, keine Lust. Was machen wir zwei Wahnsinnigen? Wir fahren acht Kilometer lang mit dem Rad in einer fast drei Millionen Metropole von Taiwan. Wir starteten am See und fuhren eine lange Magistrale Richtung Innenstadt. Es schien, als befinden wir uns irgendwo in China. Man weiß ja jetzt, wie Wuhan beispielsweise aussieht. Links und rechts riesige Wohnblöcke, eine Trabantenstadt.
Hin und wieder endeten Radwege und wir mussten zwischen den ganzen Autos auf der großen, vierspurigen Straße fahren. Aber irgendwie hat man sich schon dran gewöhnt, weil Mopeds fahren ja auch auf Rad- und Gehwegen. Demzufolge war es gar nicht so schlimm und irgendwann sind wir sicher eine halbe Stunde später an unserem Hotel gelandet.
In taiwanesischen Hotels riecht es immer sehr gut, wenn man reinkommt, weil überall Aromadiffuser platziert sind. Aber nicht nur der Duft war fantastisch, sondern auch das ganze Hotel an sich. Wir haben ein riesiges Zimmer im neunten Stockwerk mit Blick auf die Skyline von Kaohsiung. Es gibt Getränke und Snacks und dieses Zimmer ist das günstigste auf unserer ganzen Reise. Während wir auf unsere Wäsche warteten, weil wir tatsächlich nur Klamotten für fünf Tage eingepackt haben, und einen Cappuccino tranken, ging langsam die Sonne unter. Und es schien, als ob jemand nach und nach die Stecker in die Dosen steckt, weil immer wieder ein neuer Wolkenkratzer hell erleuchtete. Städte sind faszinierend, wenn sie zweimal am Tag erwachen – morgens und nachts.
Jede Stadt, die wir bis jetzt besucht haben, ist anders. Taichung war wie Bangkok. Tainan war irgendwie wie Kanazawa und Kaohsiung ähnelt Hongkong. Die Dreifaltigkeit asiatischer Städte in einem Land. Also irgendwie ein Best-of von Superstädten in Asien.
Wir stiegen in die Metro und fuhren zum größten Nachtmarkt von Kaohsiung. Beängstigend sind die riesigen Gasflaschen, die dicht gedrängt zwischen den Ständen stehen. Am Kotelettstand, also frittiertes Hühnchenkotelett mit einer wahnsinnig leckeren Panade, war die Schlange gefühlte 200 Meter lang. Aber wo viele Menschen stehen, muss man eben essen. Was ist übrigens die dümmste Idee, die man haben kann? Frisch geduscht, mit frisch gewaschenen Sachen auf einen Nachtmarkt zu gehen.
Wir haben gelesen, dass im großen Central Park ein paar Weihnachtsinstallationen sein sollten. Aber was uns erwartete, als wir mit der Rolltreppe aus dem Untergrund der Metro nach oben kamen, war überwältigend. Ein riesiger, leuchtender Weihnachtsbaum mit Schnee aus Schaum, tausende Lichtinstallationen und ebenso viele Menschen. So wird also in Taiwan Weihnachten gefeiert. Während wir gemütlich bei Pfefferkuchen und ruhiger Musik mit Kerzenschein im Wohnzimmer sitzen, bricht hier die Hölle los.
Auf einer großen Bühne standen ca. 30 Kinder und sangen »Stille Nacht, heilige Nacht«, was auf Taiwanesisch wahrscheinlich »mi ho hi ko mi« heißt. Der Stromverbrauch an diesem Tag in Kaohsiung scheint derselbe zu sein, den wir in Deutschland innerhalb eines Jahres auf den Kopf stellen.