Wenn du morgens das Fenster öffnest, hörst du maximal das Rattern der Klimaanlagen. Ansonsten ist Stille. Keine Fußgängerampeln piepen, keine Motorengeräusche. Die Stadt ist vollkommen auf Elektroautos ausgelegt. Jedes Fahrzeug, das hier fährt, bis auf ganz wenige Ausnahmen, ist strombetrieben und kaum hörbar. Eine Straße zu überqueren ist hier allerdings nicht so einfach – auf dein Gehör kannst du dich jedenfalls nicht mehr verlassen. Zudem fahren die Roller auf allem, was irgendwie fester Untergrund ist.
Was für eine Ruhe heute Morgen, auch auf dem People’s Square. Die feiernden Chinesen schlafen um diese Uhrzeit wahrscheinlich noch, während wir schon die Metro aufsuchten. Wie in jeder Station musste auch hier das Gepäck durchleuchtet werden. Und ist die Tasche noch so klein – man könnte ja irgendetwas hineinschmuggeln wollen. Dann öffnet man auf der chinesischen Allround-App einen Barcode, und schwupps sitzt man schon im Zug in die Altstadt Shanghais. Übrigens kannst du mit der App auch bei jedem Straßenhändler bezahlen.
Natürlich darf Frühstück nicht fehlen. Das bekommt man am besten an Straßenständen. Hier gibt es Eierpfannkuchen, gefüllt mit Sprossen und Frühlingszwiebeln – der perfekte Start in den Tag. Allerdings wundert man sich immer wieder über die Schutzschilder, Helme und Schlagstöcke hinter Plexiglasscheiben in jeder öffentlichen Einrichtung. Diktaturen funktionieren nur, wenn staatliche Konsequenzen stets für jeden sichtbar sind.
Wir besuchten den Yuyuan Garden bzw. das große Altstadtareal Shanghais. Du fühlst dich hunderte Jahre zurückversetzt, in eine Zeit, als die Stadt noch keine Gebäude über 20 Meter kannte. Ein wirklich schöner Ort – aber leider nur bis 9.45 Uhr, wenn die Massen anrücken. Schon in Island wunderten wir uns, wie lebensmüde manche Menschen sind und auf sämtliche Steine und geschützte Landschaften treten, um waghalsige Fotos zu vollbringen. Hier machen sie nicht einmal vor ihren eigenen kulturellen Schätzen Halt und klettern in diesem anmutigen Garten auf den Felsen umher.
Okay, einen Tag darf ich mich noch beschweren, wie rücksichtslos die Menschen hier sind und sich immer selbst die Nächsten. Wir versuchen schon, uns genauso entlangzudrängeln, aber es gelingt uns nicht. Wenn du deinen Egoismus nicht mit zur Golden Week bringst, hast du hier völlig verloren. Warum das so ist, haben wir versucht herauszufinden. Es gibt verschiedene Theorien, die beschreiben, warum Chinesen zu dem geworden sind, was sie sind: Kampfmodus und Intelligenzquotienten. Auf mehr wollen wir nicht eingehen.
Das Highlight dieser Stadt ist neben dem Oriental Pearl Tower und den beeindruckenden Bauwerken, der Tee. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, so viel wie möglich davon zu probieren – in den unterschiedlichsten Varianten. Heute gab es Heckenkirschen-Tee mit kandierter Pomelo oder Goji-Beeren mit Rose. Köstlich!
Irgendwie hatten wir eine Eingebung, sahen zum Himmel und stellten fest, dass der Shanghai Tower das erste Mal nicht im Wolkendunst hängt. Wie man allerdings auf die Idee kommen kann, mitten am Tag in der Golden Week den dritthöchsten Turm der Welt zu besuchen, erschließt sich uns immer noch nicht. Draußen siehst du kaum Menschen und plötzlich verbringst du anderthalb Stunden in einer Schlange mit kreischenden Chinesen, ohne vor oder zurückzukönnen. Dass sich hier Corona binnen kürzester Zeit verbreitet hat, wundert uns nicht. Schließlich lassen sie dir keinen Meter Luft. Der Lärm, der dadurch entsteht, ist kaum mehr auszuhalten.
Obwohl uns Shanghai zu Füßen lag, war das absolut kein Erlebnis. Zu guter Letzt hatten wir auch noch ein erweitertes Ticket erwischt, mit dem man sich in der Dämpferzone des Towers eine futuristische Show mit chinesischer Propaganda ansehen konnte. Wir machten drei Kreuze, als wir endlich wieder im Basement angekommen waren, und mussten dringend etwas essen.
Wir verzogen uns in ruhige Parks und auf große Promenaden, wo die Menschen wenigstens im fünf Meter Abstand zu dir stehen, und machten lustige Bilder mit den Wolkenkratzern Shanghais. Eigentlich wollten wir uns ins große Atrium des Grand Hyatt hineinschleichen. Leider sind wir irgendwann an einem Portier gescheitert. Immerhin haben wir es bis in den 54. Stock geschafft, ohne dass uns jemand aufgehalten hat.
Wir nahmen uns eines der unzähligen gelben und blauen Leihfahrräder und fuhren entlang der Skyline der Stadt, bis uns wieder einmal das Sicherheitspersonal aufhielt, weil rund um das Ufer des Huangpu Rivers alles abgesperrt wurde, um die Millionen Menschen am Abend kontrolliert durch die Straßen Shanghais zu lenken.
Okay, für uns ging es also zu Fuß weiter bis zum Oriental Pearl Tower. Hier offenbarte er sich in seiner ganzen Schönheit – und erst recht um 18 Uhr, als die große Lichtshow begann. An dieser Stelle kann man auf oberirdischen Trassen als Fußgänger über den gigantischen Kreisverkehr laufen. Was für eine wahnsinnige Stadt!
Die letzte Station des Tages war der Westbund, der nur halb so voll war wie der Bund auf der gegenüberliegenden Flussseite. Während sich alle drüben drängen, um die Skyline von Shanghai zu bestaunen, blickten wir auf die gewaltigen, majestätischen Gebäude am Huangpu River.
Aber auch hier war das direkte Flussufer abgesperrt und streng bewacht. Hier wird das einfach gemacht, und die Freiheit der Bürger wird beschnitten – natürlich aus Sicherheitsgründen. In Deutschland hättest du dafür erst einmal Neuwahlen abhalten müssen, um so etwas durchsetzen zu können. Die Leute haben hier ohnehin aufgehört mitzudenken. Sie schauen nur noch auf ihr Handy und alles andere regelt der Staat.