Dienstag, 7. Oktober 2025

Shanghai - von traditionellen Wasserstädten & Radtouren in der Megacity


Warum China so eine Wirtschaftsmacht ist, zeigte sich wieder einmal in der U-Bahn, nachdem wir uns erst einmal durch die 20 Eingänge zur Station gekämpft haben. Die Abteile waren voll. Voll mit Menschen, die ihren Kopf ausgeschaltet hatten und stur auf ihr Handy blickten. Jeder Einzelne schaute sich irgendwelche Manga-Filme an, spielte futuristische Spiele oder zappte in rasender Geschwindigkeit durch andere soziale Plattformen. Das Ziel ist allein der Konsum.




In diesem Land gehen wahnsinnig viele soziale und emotionale Skills verloren. Jeder lebt hier in völliger Anonymität. Und wenn man das gesellschaftliche Leben so betrachtet, kommt niemand wirklich mit dem anderen in Kontakt. Selbst im Restaurant geht man stur am Kellner vorbei, scannt einen QR Code und ist wieder zurück in der digitalen Welt. Hier ist es fast noch schlimmer als in Japan. Aber wahrscheinlich ist es eine Strategie, die Massen auszublenden.




Unser Ziel war Qibao. Ob es nun eine eigene Stadt ist oder einfach ein weiterer Stadtteil der Metropole Shanghai, wissen wir nicht genau. Aber hier sieht es völlig anders aus. Es gibt kaum noch Häuser mit mehr als fünf Stockwerken und alles wirkt wesentlich weniger geleckt und ordentlich als die moderne Innenstadt. Wenn man sich das einmal auf der Zunge zergehen lässt, dass allein in Shanghai ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands lebt, dann ist Qibao ein Dorf.



Wir stiefelten von der Metrostation zum touristischen Highlight der Gegend, wollten aber vorher noch etwas essen. Auch das ist hier längst nicht mehr so einfach wie in der Innenstadt – zumindest dort, wo wir hingingen. Es gab nämlich keinen QR-Code mehr, den man scannen konnte, und nur noch chinesische Schriftzeichen. Was für uns in Korea damals noch ein großes Problem war, löst hier mittlerweile das Internet: Man scannt einfach die große Tafel an der Wand und markiert auf einem anderen Foto die Gerichte, die man haben möchte. Hat funktioniert. Und es war köstlich.




Qibao hat wahrscheinlich noch nie weiße Touristen gesehen – zumindest fühlten wir uns so. Alle fünf Minuten wurden wir angestarrt oder heimlich fotografiert. Wahrscheinlich waren wir die eigentliche Attraktion und nicht diese wunderschöne Wasserstadt. Wunderschön ist sie allerdings nur bis zu dem Punkt, an dem das, was man von Chinesen kennt, hier ausgiebig praktiziert wird: Hochziehen und auf die Straße spucken. Igitt.



Wie sich hier Corona binnen kürzester Zeit verbreitet hat, obwohl die Menschen kaum soziale Kontakte pflegen, ist ganz offensichtlich. Alle spucken von ganz tief unten auf die Straße. Die Viren verbreiten sich also beim Spaziergang durch die Stadt, indem sie vom Boden aufsteigen und sich in deiner Lunge festsetzen. Fantastischer Infektionsweg.




Wenn wir schon bei ekligen Dingen sind, hätte man die kleine Marktstraße am besten mit geschlossenen Augen besucht. In den Auslagen lagen Schweinenasen, kleine geröstete Vögel und angebrütete Enteneier, in denen die Küken schon Federn hatten. Daneben fanden sich noch viele weitere, teils erkennbare, teils völlig undefinierbare Dinge, die hier als Essen verkauft wurden. Wahrscheinlich ist das das wahre China und nicht das, was uns das polierte Shanghai vorgaukelt.



In meiner Vorstellung war China immer der absolute Umweltsünder mit Müllbergen und schmutzigen Straßen. Wahrscheinlich nicht so extrem wie in Indien oder Bangladesch, aber genauso hatte ich es mir vorgestellt. Und tatsächlich zeigt sich das hier deutlich: Alles, was man nicht mehr braucht, wird einfach fallen gelassen. Und wenn man dann noch daran denkt, wie viel Müll hier täglich allein durch Einzelpersonen produziert wird – nur, wenn man einen Tee bestellt, ist das einfach irre.




Das Wetter war heute auf unserer Seite. Wir hatten zwar keine Sonne, aber immerhin nur 28 Grad am Vormittag und ein laues Lüftchen. Auch die Menschenmassen hielten sich hier in Grenzen und wir konnten diese wunderschöne Stadt mit ihren Brücken, traditionellen chinesischen Häusern und kleinen Gassen, die mit roten Laternen gesäumt waren, in vollen Zügen genießen.




Okay, fassen wir zusammen: Wir sind also in China, wo das Benehmen der Menschen in unserer Welt völlig anders definiert wird. Und dann stehst du in Qibao auf einer kleinen Steinbrücke und wirst über Lautsprecher auf Englisch – also eindeutig an Touristen gerichtet – darauf hingewiesen, wie du dich hier „westlich“ zu verhalten hast. Direkt davor eine riesige Kamera, die alles überwacht. Ich brauche diese Anweisung jedenfalls nicht. Vielleicht sollte man die Sprache besser auf Chinesisch umstellen.




Wir besuchten noch einen wunderschönen Tempel mit einer mehrstöckigen Pagode. Mönche zogen mit ihrem buddhistischen Gesang durch das Areal und es hatte endlich einmal etwas von Stille. Keine fünf Minuten später war diese Illusion jedoch vorbei, als die besagten Mönche plötzlich mit Trinkflaschen und Handys an uns vorbeischlürften. Die hundert eingefärbten Koikarpfen in dem kleinen Miniteich trugen ebenfalls nicht dazu bei, dass hier so etwas wie Spiritualität aufkommt.



Wir setzten uns in die Metro und fuhren zurück Richtung Stadtzentrum, um den Longhua-Tempel zu besichtigen, der älteste und größte Tempel der Stadt. Nach unseren Recherchen ist es übrigens eine Art Statussymbol, sich beim Anstehen – zum Beispiel an der Ampel, ob als Rollerfahrer oder Fußgänger, so weit wie möglich nach vorn zu drängen. Das zeigt Stärke und Durchsetzungsvermögen. Das Problem ist nur, dass die Menschen dabei so dicht vor dir stehen, während du schon an der Bordsteinkante ausharrst, dass ihre Haare deine Nasenspitze berühren.




Am Nachmittag unternahmen wir eine der besten Sachen, die Shanghai zu bieten hat – wenn nicht sogar weltweit - zumindest nach unserer Auffassung. Am Huangpu River, auf der Seite von Pudong, verläuft ein 22 Kilometer langer Radweg direkt am Fluss entlang. Du passierst kleine Mini-Wälder mit Vogelgezwitscher, große Parks, fährst durch das Expo-Gelände, triffst immer wieder auf kleine Cafés und hast dabei ständig diese gigantische Skyline im Blick. Wahrscheinlich ist das einer der besten innerstädtischen Radwege, die wir je gefahren sind.




Umrahmt war die Fahrt von wunderschön entspannter Musik aus den Lautsprechern der Kameramasten. Einheimische saßen in den Parks oder trafen sich unter gigantischen Zelten, um Tagescamping zu machen. Kinder radelten mit ihren Vätern um die Wette und auch wir waren einfach nur glücklich.



Dass die Menschen in dieser Überbevölkerung völlig abgestumpft sind, hat sich auch hier wieder gezeigt. Da wird, ohne zu schauen, auf den Radweg gefahren, drauf gelaufen, plötzlich angehalten – und es erschreckt niemanden. Nicht einmal, wenn geklingelt wird oder es fast zum Zusammenstoß kommt, zuckt jemand mit der Wimper. Wie gleichgültig hier alles um einen herum wahrgenommen wird, ist für uns immer noch völlig befremdlich. Sie leben in ihrer Welt und blenden andere völlig aus. Wahrscheinlich kommt man so mit diesen Massen am besten zurecht.



Am Bund auf der Pudong-Seite war man schon wieder dabei, die Straßen und Fußwege abzusperren, um den Menschenmassen am Abend standzuhalten. Selbst die Leihfahrräder wurden aus der ganzen Region verbannt, die wir später auf einem großen Platz, zu Hunderten zusammengepfercht, wiederfanden. Befremdlich ist es schon, wenn einem plötzlich marschierende Soldaten in Paradeuniform auf dem Fußweg entlanglaufen.



Wir setzten mit der Fähre über auf die andere Seite. An der Uferpromenade des Nordbunds saßen die Influencer im Livestream auf ihren Campingstühlen, vor sich ein aufgebautes Handy-Stativ, und quatschten oder schrien in ihr Smartphone, das dauerhaft auf den Oriental Pearl Tower und die Skyline von Shanghai gerichtet war – um der Menschheit, was auch immer, mitzuteilen.



Wir sahen zu, die einströmenden Massen Richtung Bund so schnell wie möglich zu passieren, obwohl es heute schon merklich weniger waren. Morgen ist schließlich der letzte Tag der Goldenen Woche. Unser Ziel war Hot Pot essen – und das war erstaunlich einfach. Wir fanden einen Laden der wohl bekanntesten Kette und steuerten direkt darauf zu. Komischerweise mussten wir nicht einmal lange anstehen und uns wurde die Wartezeit noch mit Getränken, feuchten Tüchern und Knabbereien verkürzt.



Es war also ein Fest und wir verbrachten locker anderthalb Stunden vor unserem dampfenden Topf mit Brühe. Wir kochten Kürbis, Maiskolben, Rindfleisch, Enoki-Pilze, Nudeln und Tofuhaut und mischten uns die exotischsten Soßen an der Gewürzbar. Das war wahrscheinlich die westliche Variante. Für einheimische standen noch ganz andere Sachen auf der Karte, die man auswählen konnte: Entenzunge, frisches Blut, Gehirn vom Schaf, Pansen, Entenfüße - um nur einige Dinge zu nennen.